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Qualität und Eigenart statt Allerweltsware und Quantität

  • Beendigung staatlicher Unterstützung für den Skitourismus: Skigebietszusammenschlüsse und Neuerschliessungen, neue Beschneiungsanlagen und Treibstoffe dürfen nicht subventioniert werden.
  • Nachhaltig bewirtschaftete Nischen- und Ganzjahresangebote mit Wertschöpfung sind über die Hotellerie hinaus zu fördern.
  • Für Grossveranstaltungen dürfen keine staatlichen Mittel aufgewendet werden.

Nachhaltiger Tourismus als Chance für das Berggebiet

Der Tourismus ist für einen Bergkanton wie Graubünden ein wichtiger Wirtschaftszweig. Die Abhängigkeit vom Tourismus ist für viele Branchen entsprechend gross. Gross ist auch die starke Abhängigkeit vom Skitourismus, welcher sich – bedingt durch die Klimakrise – verändern muss. Doch Graubündens Stimmbevölkerung hat mit der zweimaligen Ablehnung von Winterolympia-Bewerbungen bereits ein alpenweit beachtetes Zeichen, gar einen Trend gesetzt. Können wir es besser?

Der Skitourismus weltweit hat sich nach einem mehrjährigen, zum Teil starken Rückgang (Japan) in der Saison 2017/18 leicht erholt, getrieben durch die Entwicklung in Osteuropa und China [1]. Mit dem Klimawandel wird die Aufrechterhaltung des damit verbundenen Winterbetriebes auch bei uns immer mehr zur finanziellen und ökologischen Herausforderung. Die Wetterextreme nehmen zu, damit auch Lawinenwinter und Naturkatastrophen. Diese Gefahren drohen auch in wirtschaftlich erfolgreichen, weil schneereichen Wintern wie 2018/19.

Die Anzahl Skitage – sog. Skier-Visits – nahm die letzten 10 Jahre in der Schweiz um 25% ab [2]. Erst in den zwei Saisons 2017/18 und 2018/19 kam aufgrund guter Schneeverhältnisse zu einem Wiederanstieg. Doch es kann nicht unser Ziel sein, Gästesegmente in weit entfernten Ländern wie China neu zu erschliessen, sie mit Unmengen an Flugbenzin und CO2-Ausstoss zu uns zu karren um sie hier an den katastrophalen Folgen der Klimaveränderung mitleiden zu lassen.
Geballter Tourismus, mit Privatverkehr als Zubringer, wie er in der heutigen Form in den Hotspots der alpinen Berggebiete auch im Sommer vorherrscht, ist hochgradig umwelt- und klimaschädich und nicht zukunftstauglich. Der Grossteil der europäischen Feriengäste reist von mehr oder weniger weit im motorisierten Individualverkehr an und ab und benutzt das Auto auch während des Aufenthaltes in Graubünden als Fortbewegungsmittel. Doch vom Verkehr überlastete Zufahrtsstrassen in die Alpentäler und überfüllte Altstädte schaden dem alpinen Erlebnis massiv. Gibt es allerdings keine autofreien Angebote vor Ort, reist auch niemand ohne Auto an.

Die Landschaft, unser touristisches Kapital, wird durch touristische Infrastruktur sowie durch Ferien- und Zweitwohnungen sowie überdimensionierte Hotelbauten (z.B. Goldenes Ei in Davos) verschandelt. Grossanlässe und saisonale Spitzen führen zur Überlastung der vorhandenen Infrastruktur (wie z.B. Abwasserreinigung, ÖV), produzieren unverhältnismässig viel Lärm, Luftverschmutzung und Abfallberge. Die grossflächigen, ressourcenintensiven (Wasser und Energie) Beschneiungen sind nicht nur umweltschädlich, sondern langfristig wohl auch technische Auslaufmodelle, da die Schneesicherheit auch mit Beschneiungsanlagen immer weniger garantiert werden kann. Die dafür nötigen, stablien Tieftemperaturen werden seltener, die Nullgradgrenze steigt. Anstatt zu Erholung und Gesundheit führt die permanente Erlebnissteigerung in der Freizeit zum Erlebnis-Burnout, sowohl bei den Gästen, noch mehr aber bei den Anbietern der entsprechenden Angebote.

Doch Graubünden hat die Rhätische Bahn als alpine Vorzeige-Erschliessung und stärkt sukzessive seinen Ruf als vielfältiger Wellness- und Kulturkanton, der nicht nur auf Skirummel sondern auf natürliche Qualität und Begegnung setzt, mit Steinböcken und Geissen – und Einwohner*innen. Packen wir diese Chancen – oder bleibt das Zuckerguss?

Mehr Qualität und Eigenart statt Allerweltsware und Quantität

Freizeit und Erholung in der abwechslungsreichen, von Bauern gepflegten Landschaft, rücksichtsvoll sportliche Erlebnisse in schroffer Natur, Abkehr vom Stress im Arbeitsalltag, Einkehr, Begegnungen sowie Ruhe sollen weiterhin in unseren schönen Bergen gefunden werden können. Intensive Tourismusformen sind auf die bestehenden Hot-Spots zu beschränken. Wachstum des Intensivtourismus in noch intakte Landschaften und wichtigen Lebensräumen für Tiere ist zu vermeiden. Die Abhängigkeit vom Faktor Schnee und dem Skisport muss reduziert werden. Der Ganzjahrestourismus bietet sich an, dank der zentralen Lage Graubündens in Europa als auch aufgrund der kühlen Sommer und der kulturellen und landschaftlichen Vielfalt, und den Reizen der vier Jahreszeiten. Schaffen wir es tatsächlich, auch mit weniger und Stil, statt mit immer mehr und mehr zu leben?

Staatliche Unterstützung von serbelnden Bergbahnen aber auch von Neuerschliessungen sowie für neue Anlagen zur Beschneiung sind zu unterlassen. Sie verkommen zu Beschwörungen eines vergangenen, nicht wiederkehrenden Jahrhunderts.

Wo sich die Gäste ballen, sind Besucherlenkungen und Höchstgrenzen für saisonale Spitzentage einzuführen. Im Gegenzug sind nachhaltig bewirtschaftete Nischen- und Ganzjahresangebote mit Wertschöpfung über die Hotellerie hinaus zu fördern. Im kreativen und regional eigenständigen Zusammenspiel von Bauern und Gewerbe, von Zugezogenen und Eingesessenen liegt die Zukunft. Gesichtslos stereotype Grossanlässe wie Olympische Spiele sind faul gewordener Kunstschnee von gestern.

Für Grossveranstaltungen dürfen keine staatlichen Mittel aufgewendet werden. Förderungswürdig sollen vorwiegend Tourismusformen sein, die authentische Ferien in intakter Natur und vielfältiger Kulturlandschaft und die im Kanton sehr innovative Kunst- und Kulturszene ermöglichen und bei denen die lokale Wertschöpfung möglichst gross und sozial verteilt ist. Synergien mit dem Gesundheits- und Kultursektor einschliesslich Museen und Galerien, aber auch mit der Landwirtschaft sind besser auszuschöpfen. Die Kultur- und Naturvielfalt im Berggebiet sowie die Produktepalette ist gross. Diese Vielfalt ist ein Alleinstellungsmerkmal und damit eine Chance für das Berggebiet. Abgelegene Täler können so durch vielfältigen, authentischen und nachhaltigen Tourismus vor der Abwanderung verschont werden. Die Bündner Naturpärke sind solche Bijoux, die ein wohldosiertes, zukunftsträchtiges Zusammenspiel von Mensch und Natur, von Einheimischen und Gästen ermöglichen.

Die soziale Dimension besser berücksichtigen

Auch in touristischen Betrieben sind Jahresstellen mit angemessenen Sozialleistungen notwendig. Die negativen Aspekte der Saisonbeschäftigung sind durch wirksame Massnahme abzufedern. Vorstellbar wäre z.B. eine Lenkungsabgabe für Betriebe, die ihre Türen nur zu Hochsaison-Zeiten öffnen. Diese Abgaben würden dann denjenigen Betrieben zu Gute kommen, die sich um ein ganzjähriges Angebot bemühen.

In Tourismus-Hotspots sind vor allem Jugendliche von überbordenden Saufpartys überfordert. Aufklärung, Prävention und Gassenarbeit betreffend Alkohol- und Drogenkonsum ist hier notwendig, und wirksamer als das Treiben zu tabuisieren.

Die transalpine Zusammenarbeit fördern

Die Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit für die Weiterentwicklung des Tourismus im Alpenraum ist notwendig, damit die gegenseitige Zerfleischung der Destinationen durch technische Hochrüstung als „ultima ratio“ des Massentourismus zu einem geordneten Ende kommt.
Das alpenweite Vertragswerk Alpenkonvention mit seinem Tourismusprotokoll kann auch in der Schweiz als Grundlage für einen klug gedachten Alpentourismus mit Bodenhaftung genutzt werden. So erhält sich Graubünden seine starke Rolle in der Tourismusentwicklung und findet mit anderen Kantonen und Alpenregionen neue Lösungen in klimatisch heiklen Zeiten.

Quellen

[1] Laurent Vanat – 2019 International Report on Snow & Mountain Tourism: https://www.vanat.ch/RM-world-report-2019.pdf

[2] Laurent Vanat – 2019 International Report on Snow & Mountain Tourism, S. 43: https://www.vanat.ch/RM-world-report-2019.pdf