Waffenproduktion ist leider anerkannt
Die Ablehnung gleich der beiden eidgenössischen Vorlagen schmerzt uns sehr. Bei der Kriegsgeschäfte-Initiative war das Nein von 57% leider zu erwarten, da die Schweizer Stimmbevölkerung in der Vergangenheit gegenüber ähnlichen Anliegen bereits Nein gestimmt hat. Die Waffenausfuhrverbots-Initiative wurde 2009 mit 68.2% abgelehnt. Die Initiative «für ein Verbot der Kriegsmaterialausfuhr» wurde 1997 mit 77,5 % Nein-Stimmen verworfen. Einzig die Volksinitiative «für vermehrte Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot» verfehlte 1972 das Volksmehr mit 49,7 % Ja-Stimmen nur sehr knapp. So entsteht der Eindruck, dass es seit den Neunzigerjahren mit diesem friedens- und entwicklungspolitischen Anliegen nur sehr langsam vorwärts geht.

Konzernverantwortung: Doch keine Selbstverständlichkeit
Mehrfaches Neuland hat die Konzernverantwortungs-Initiative (KOVI) beschritten. Zusammen mit kirchlichen Kreisen haben NGOs aus den Bereichen Umweltschutz, Menschenrechte und Entwicklungszusammenarbeit die Initiative 2016 eingereicht. Sie wurde mit Winkelzügen im Parlament und sogar von Bundesrätin Karin Keller-Suter persönlich bekämpft. Am Schluss jedoch wurde das Anliegen sogar von vielen Parlamentarier*innen aus bürgerlichen Parteien unterstützt. Die nationalen Parteien Grüne, SP, BDP, EVP und GLP (inkl. Jungparteien), die Jung-CVP, 4 kantonale CVP-Sektionen und sogar die rechtsnationale EDU empfahlen ein Ja. Darum hat man ihr eine grosse Gewinnchance gegeben, da auch die Umfragen vor der Abstimmung eindeutig positiv ausfielen. Es legten sich auch hier bei uns sehr viele engagierte Bündner*innen für die KOVI ins Zeug. Es war sagenhaft, wie sie sich tagelang auf die Strasse und vor die Briefkästen stellten und Flyer verteilten.

Mit 47.02% war die nationale Stimmbeteiligung gut. Ihr Zehnjahresschnitt liegt bei 45.6%, bei den Nationalratswahlen 2019 waren es 45.1%.

Doch die Hoffnungen platzten am 29.11. sehr schnell – am Ständemehr. 14.5 Kantone sagten nein, nur 8.5 Kantone ja. Erst zum Schluss der Auszählung zeigte sich ein knappes Volks-Ja von 50.72%.

Wieso soll gerade die Kantonszugehörigkeit den einzelnen Stimmen ein unterschiedliches Gewicht verschaffen? Ist das nicht ein alter Zopf?
Kaspar Schuler, Vorstand Verda

Am ablehnenden Entscheid ist das Ständemehr schuld
Diese spezielle Konstellation – JA nach Stimmen, NEIN nur aufgrund des Ständemehrs – ereignete sich bei einer Volksinitiative erst einmal, 1955, vor 65 Jahren, als die Initiative „zum Schutz der Mieter und Konsumenten“ (Fortführung der Preisüberwachung) vom Volk mit 50.2% angenommen, aber von 15 Ständen abgelehnt wurde. Der Unterschied lag damals bei 11’458 Stimmen, diesmal bei 37’500. Der Tages Anzeiger hält zur Konzernverantwortungsinitiative fest: „Unter dem Strich überstimmte die konservative, ländliche Schweiz also die progressiven, urbanen Bevölkerungsgruppen“.

Gerrymandering in den USA – Ständemehr in der Schweiz
Das Ständemehr erweist sich so als die Schweizer Variante des Gerrymandering, der willkürlichen Zuschneidung der Wahlkreise in den USA. Sie wird dort vor allem von der republikanischen Partei mit Akribie betrieben, um der weissen Bevölkerung mehr Stimmkraft zu verschaffen.

Wieso nicht das Ständemehr dem Männerstimmrecht hinterherschicken?
Für die Schweiz stellt sich die Frage: Wieso soll gerade die Kantonszugehörigkeit den einzelnen Stimmen ein unterschiedliches Gewicht verschaffen? Ist das nicht ein alter Zopf, da er als machtpolitische Stärkung der ländlichen – damals vor allem katholischen – vor den städtischen – damals vor allem protestantischen – Kantone diente? Doch der Religionsgraben wird unbedeutend. Sogar die einst erzkatholische CVP beerdigt soben ihr C im Namen, fusioniert mit der einst eher protestantischen BDP (in Graubünden nannten sie sich die Demokraten) und beruft sich ab Januar nur noch auf „die Mitte“. Aus dem gleich antiquierten Holz geschnitzt war es ja auch, dass das Stimmrecht einzig den Männern vorbehalten war. Doch seit 30 Jahren – mit dem Einknicken der Appenzeller – zählt endlich auch die Stimmen eines Mannes nicht mehr als die einer Frau. Es begehrt heute ja auch niemand auf, wenn wie am 28.11. die Männer der Konzernverantwortungsinitiative mit 43% JA ihre Unterstützung verweigerten, die Frauen sie hingegen mit 55% JA klar befürworteten. Wird das Ständemehr abgeschafft, kann man den Ständerat als zweite parlamentarische Kammer dennoch behalten, zur vertiefteren Reflexion im kleineren Kreis als das im viermal grösseren Nationalrat möglich ist.

Bündner Widerstand zur Konzernverantwortung
Im Kanton Graubünden zeigt sich die klare KOVI-Ablehnung (54.21%) daran, dass es wenig Überraschungen bei den Gemeindeergebnissen gibt. Die Mehrheiten liegen in 53 der 78 Nein-Gemeinden über 55%, am deutlichsten in der Surselva (z.B. Schluein 72%), in Samnaun (72.22%), in Tschiertschen-Praden (72.63%) und in Furna (79.69%). Erstaunlich und erfreulich sind andere Gemeinden im Prättigau, wo es gleich in fünf Gemeinden Ja-Mehrheiten gibt: Fideris, Conters, Luzein, Schiers, Seewis. Ein Grund könnte in den da und dort freikirchlich engagierten Bevölkerungsteilen liegen, die wohl aus ethischen Überlegungen ja sagten. Sogar in Chur gab es mit 52.11% JA-Stimmen nicht mehr als in den meisten dieser und den 27 insgesamt zustimmenden Gemeinden.

Ein Papiertiger: der indirekte Gegenvorschlag
Die nun in Kraft tretende Gesetzesänderung beinhaltet nur Berichterstattungspflichten, und das wiederum nur für gewisse Unternehmen. Zudem müssen einzig bei sogenannten Konfliktmineralien und Kinderarbeit zusätzliche Sorgfaltsprüfungspflichten erfüllt werden. Verstösse werden mit Busse bestraft. Eine realistische Hoffnung zur Verbesserung liegt auf dem EU-Lieferkettengesetz, das am 29. April 2020 von EU-Justizkommissar Didier Reynders auf 2021 angekündigt wurde. Es wird eines Tages von der Schweiz nachvollzogen werden müssen.